Donnerstag, 4. Juni 2009

An der Schule unterrichten nun auch Schüler

Rhein Neckar Zeitung vom 06.05.2009

Edingen-Neckarhausen. (nip) Sie sitzen da mit ihren roten Aids-Schleifen
an der Brust auf der Schultreppe und blinzeln in die Sonne. Und auch
wenn manchmal das Stillsetzen schwer fällt, so wirken alle vier Schüler
der Graf-von-Oberndorff-Schule etwas selbstbewusster und offener als
manch andere.
Gut möglich, dass ihre neue Aufgabe daran Anteil hat – folglich tragen sie
die roten Schleifen mit Stolz: Vanessa Sales, Lisa Gohlke, Florian Beining,
Tobias Schreiber, Jakob Jost und Chiara Kratl sind ausgebildete "Peer
Educator" und klären gleichaltrige Mitschüler ab Klasse sieben über das
Thema "Aids" auf. Gleichaltrigen etwas beizubringen macht Sinn – und es
bleibt laut Evaluierung der Uni Mannheim nachweislich besser hängen, als
wenn das Erwachsene tun.
Darauf basiert das Konzept von Angelika Staudt. Die Theaterpädagogin,
Regisseurin und Kommunikationstrainerin unterwies ihre Präventions-
Azubis in Wochenend- und Ferienkursen in deren Freizeit. Rund 30
Stunden investierten die Schüler in ihre Fortbildung.
"Es war anstrengend, aber es hat sich gelohnt", meint Lisa. Und die
anderen nicken zustimmend. "Wir haben alles über Aids gelernt,
Betroffene und einen Arzt kennengelernt", zählt Vanessa auf. Staudt
kooperiert mit der Aids-Hilfe Mannheim/Ludwigshafen und traf sich im
Regenbogen-Café mit den Schülern. In Staudts Konzept greifen mehrere
Komponenten: Im Kampf gegen die Krankheit sind Aufklärung und
Prävention immer noch die besten Waffen, und je früher man damit
beginnt, umso besser. An diesem Vormittag hielten die "Peer Educator"
ihre erste Präventionsstunde in der Schule. Aus einem "Krabbelsack"
zogen sie verschiedene Dinge wie Zahnbürste oder Babypuppe. "Wir
haben erklärt, wie man sich anstecken kann und wie nicht", erklären die
vier.
Die Rückmeldungen waren durchweg sehr positiv. Nur wenige Mitschüler
machten Späße, als ihre gleichaltrigen Ausbilder am Holzmodell
demonstrierten, wie man ein Kondom richtig benutzt. "Der Großteil war
ziemlich locker", meint Lisa. Die nächsten Klassen, auch aus Ladenburg,
haben sich bereits bei ihnen angemeldet.
Rund 4000 Euro kostet die Ausbildung, und Staudt ist dankbar, dass die
Hopp-Stiftung hier unterstützte. Auch die LBBW-Stiftung und das
Mannheimer Unternehmen Fuchs Petrolab stiegen in den Sponsorenpool
ein. Die Oberndorff-Schule ist die erste Hauptschule im Kreis, die
teilnehmen konnte. Bislang waren ausschließlich Gymnasien beteiligt. "In
dieser Runde werden noch vier weitere Schulen ausgebildet", erzählt
Staudt, die im Jahr 2006 erstmals ihr Vorhaben umsetzen konnte. Die
Resonanz ist auch von Elternseite her ermutigend. Staudt: "Es braucht
aber auch so engagierte Lehrerinnen wie Birgit Zachert – das ist ein
großer Gewinn." Die neuen "Peer Educator" meinen: "Wir haben viel
gelernt, was Erwachsene nicht wissen."
Info: Schulen, die ihre Schüler unterweisen lassen möchten, wenden sich
an die Oberndorff-Schule unter 06203/808232. Schulen mit Interesse an
einer Ausbildung in Aids-Prävention wenden sich an Angelika Staudt über
die Aids-Hilfe Mannheim: Telefon 0621/28600.

Das Team der Wilhelm Wundt Realschule

Das Team der Graf von Oberndorf Hauptschule

Das Team der Konrad Duden Realschule

Peer-Education in der Aidsprävention –  ein Multiplikatorenprojekt

für Jugendliche

 

Das Peer-Educator-Projekt konnte im September 2006 dank der Initiative von Frau Angelika Staudt und der finanziellen Unterstützung der Dietmar Hopp Stiftung in Mannheim und Ludwigshafen an den Start gehen. Schülerteams des Max-Planck-, Peter-Petersen- und Ludwig-Frank-Gymnasiums wurden zu „Peer-Educatoren“ in der Aidsprävention ausgebildet. Die Aidshilfe Mannheim-Ludwigshafen e.V. stellte die Räume und das Pharma-Unternehmen Glaxo-Smith-Kline das Honorar für den Facharzt zur Verfügung.

Die Universität Mannheim evaluierte das Projekt und konnte bestätigen, dass Jugendliche in der Pubertät eher bereit sind, Wissen und Informationen über Sexualität, Verhütung, Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten und einer HIV – Infektion von Jugendlichen anzunehmen als von Erwachsenen.

Die zweite Ausbildungsrunde, die 2008 startete, wurde ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung der LBBW Stiftung, der Fuchs Petrolub AG und der Maria Müller Stiftung. Derzeit warten noch acht Schulen aus Ludwigshafen und Mannheim auf Sponsoren.

Vorgehensweise

 

Am Peer-Educator-Programm nehmen derzeit Schülerteams von Gymnasien, Real- und Hauptschulen teil. Von jeder am Projekt teilnehmenden Schule werden jeweils 6 bis 8 Jugendliche im Alter von ca. 13-14 Jahren ausgewählt und durchlaufen die Ausbildung zum Peer-Educator.

Die Ausbildung erstreckt sich über 40 Stunden. Sie beinhaltet drei Treffen während der Woche am Nachmittag und ein Wochenendseminar von Freitag bis Sonntag in der Aidshilfe Mannheim-Ludwigshafen e.V.

Im Rahmen der Ausbildung werden die Jugendlichen an die Thematik herangeführt. Sie lernen sich mit dem Thema Sexualität auseinanderzusetzen, erhalten von dem Facharzt Dr. Buchholz die wichtigen Informationen über die Ansteckungswege, wie sich der HI Virus im Körper ausbreitet, auf das Immunsystem einwirkt und wie man sich schützt. Sie lernen über Gespräche mit HIV-positiven die psychosoziale Situation von betroffenen Menschen kennen. Über Methoden der Entwicklung sozialer und persönlicher Kompetenzen, der Teamentwicklung, dem Anti Bias Approach und der Theaterpädagogik werden sie herangeführt, als Team aufzutreten und für sie stimmige Wege zu entwickeln ihr Wissen weiterzugeben. Im Prozess wird darauf hin gearbeitet, dass sie angstfrei und kompetent über die Themen Verhütung, Schutz vor HIV-Infektion und sexuell übertragbaren Krankheiten, sowie den Umgang mit Diskriminierung und Ausgrenzung von HIV-Positiven, sprechen lernen.

Sie werden angeregt Unterrichtseinheiten zu gestalten um ihre Mitschüler/innen an ihrer Schule zu informieren und Ansprechpartner für diese Themen zu werden. Die Teams werden nach der Ausbildung drei Monate intensiv und danach bei Bedarf bei ihrer Arbeit betreut, damit sie sich sicher werden und das Projekt in der Schule gut verankert wird. Die Teams aus den verschiedenen Schulen treffen sich in zeitlichem Abstand miteinander um ihre Erfahrungen, die sie bei ihrer Arbeit machen, zu reflektieren, sich auszutauschen und gemeinsam Lösungen für entstandene Probleme oder Schwierigkeiten zu finden.